Sonntag, 19. Dezember 2010
Inzwischen bin ich in einem Alter angekommen, wo offensichtlich alle halbwegs beziehungsfähigen Männer schon seit Jahren eine Freundin haben. Ich könnte jetzt auch eine von denen sein, hätte einen Freund, der mir immer den Rücken stärkt und für den ich die Erste und vielleicht Einzige wäre. Wir hätten 2000€ netto im Monat, obwohl er gerade erst angefangen hat zu arbeiten, ein kleines Immobilienimperium würde auf uns warten, vielleicht wäre ich längst mit meinem Studium fertig und er hätte mir dank Beziehungen einen guten Job besorgt. Ich hatte diesen Mann, aber wir haben uns verloren. Wir haben wie zwei alte Bekannte zusammengelebt, die zwar nichts mehr außer der Wohnung gemeinsam haben, aber sich regelmäßig zum Ficken treffen.
Damals habe ich gedacht, dieser Zustand wäre endgültig und es würde nur noch bergab gehen. Heute weiß ich, dass dieser Zustand vorübergehen kann. Keine zwei Jahre später hatten wir plötzlich wieder gemeinsame Interessen. Aber da war schon alles zerstört. Er hätte wieder etwas mit mir angefangen, er war sogar ungeheuer bemüht, ist jedes Wochenende 500km gefahren, nur um sich zum Einschlafen den Kopf kraulen zu lassen, was er so liebt, nur, um mich zum Essen auszuführen und sich mit mir zu unterhalten. Um mich "zurückzuerobern". Aber ich hatte ihn damals eiskalt sitzen lassen und ich weiß, dass er mir nie völlig verzeihen können wird. Aber noch weniger habe ich es mir selbst verziehen.
Und was kam dann? Zwei Jahre mit jemandem, bei dem ich immer das Gefühl hatte, ein Störfaktor in seinem Leben zu sein. Er hatte vor mir keine andere, er hatte nach mir keine andere. Ganz am Anfang hat er mir Gedichte geschrieben. Aber meine Eifersucht hat ihn vernichtet. Er hat nicht mit mir reden können, obwohl doch eigentlich ich immer die bin, mit der alle reden können. Außer sie sind mit mir zusammen.
Mein Vater sagt, ich sei "a guts Dingl". Ich sei "kein böser Zahn" wie meine Cousine. Ich habe schon oft gehört, dass man gut mit mir reden könne, von Männern wie von Frauen. Ich habe gelernt zuzuhören und Menschen schätzen das. Ich habe mich immer für einigermaßen friedlich gehalten und für einen Menschen, mit dem man es gut aushalten kann. Als wir uns kennenlernten, hat mein Freund gesagt, ich sei die verständnisvollste und zärtlichste Frau, die er bisher getroffen hätte. Ich würde mich wirklich für ihn interessieren.
Leider bin ich auch krankhaft eifersüchtig und unheimlich besitzergreifend. Irgendetwas in mir scheint zu glauben, wenn ich mich ganz dem anderen verschriebe, würde mir das automatisch auch alle Rechte an ihm sichern. Ich glaube, wenn ich meinen ganzen Tagesablauf preisgebe, wenn ich von mir erzähle, was ich denke, was ich tue, was mich interessiert, hätte der andere die Verpflichtung, es mir gleich zu tun. Ich glaube, wenn ich ehrlich und aufrichtig bin, wäre es der andere auch.
Es war doch alles ganz anders am Anfang. Das war im Juli. Wir haben uns in einem MMORPG kennengelernt, schon einige Monate vorher. Er hat nie viel geredet, wenn wir im TS waren. Er kam mir einsam und deprimiert vor, also habe ich beschlossen, ihn etwas aufzumuntern. Aus den paar Textzeilen am Tag wurde irgendwann ein ständiges Chatten und daraus schließlich tägliche Telefonate. Es hat mich sehr schnell ziemlich erwischt. Ich habe einige Exfreundschablonen über ihn gelegt und vieles gefunden, das ich mochte. Ich dachte, er wäre jemand, der mit meinen Problemen umgehen könnte, ein robuster Mensch mit dickem Fell, der lieber etwas tut als sich den Kopf zu zerbrechen, wie ich es gern tue. Trotzdem habe ich mich nicht getraut, ihn zu treffen. Anfang September, wir hatten mehr oder weniger einen Termin vereinbart, aber ich wollte alles hinausschieben, weil sich irgendwie doch Zweifel einschlichen (ich wollte keine Beziehung mehr auf diese Entfernung), rief er dann an und sagte: "Entweder du kommst zu mir oder ich komm eben zu dir rauf." Das hat er auch getan. Und er sah ganz anders aus als ich ihn mir - auch von den Fotos her - vorgestellt hatte. Ich hatte ihn für nerdig gehalten, blass, pummelig, vielleicht ein bisschen freakig so wie ich, und er fuhr vor mit einem prolligen Golf, braun gebrannt und muskulös, mit einem engen Shirt und einfach wie jemand, den ich im realen Leben nie kennengelernt hätte. Mich hat beinahe der Schlag getroffen. Er war viel zu hübsch. Wie passte das, was ich sah, zu dem, was ich in den letzten drei Monaten von ihm erfahren hatte? Ich konnte ihn einfach nur entgeistert anstarren und mir denken: Warum muss er so hübsch sein? Wie sehe ich denn nun neben ihm aus? Was will er überhaupt von mir? Ich fühlte mich fürchterlich unwohl, unscheinbar, hässlich. Ich bin keine Frau, die er im realen Leben kennengelernt hätte. Ich bin ein Nerd. Ich züchte Insekten, schlafe tags und arbeite nachts, ich bin blass und habe Augenringe. Ich bin nicht hässlich, aber ganz sicher nicht die wasserstoffblonde, vollbusige Friseuse, die auf den Beifahrersitz seines Golfs gehören würde.
Es war ein schönes Wochenende. Wir haben geredet, wir haben miteinander geschlafen und als er gehen musste, war ich nicht froh wie bei allen, die die Jahre zuvor bei mir zu Gast waren, sondern ich war traurig, weil ich glaubte, dass ich ihn vermutlich das letzte Mal sah. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, eine Enttäuschung für ihn zu sein.
Schon von unterwegs rief er mich an. Und daheim wieder. Zeit ging ins Land. Ich arbeitete wie verbissen an meiner Diplomarbeit, denn plötzlich hatte ich wieder ein Ziel. Ich wollte wieder in den Süden ziehen, wo ohnehin meine Familie lebt. Noch mehr Zeit ging ins Land. Ich war unglücklich und einsam, weil ich jetzt nicht mehr nach Belieben meine Exfreunde treffen konnte, schließlich wollte ich Rücksicht auf seine Eifersucht nehmen. Leider hatte ich sonst nicht viele Freunde.
Wir sahen uns über zwei Monate lang nicht mehr. Er bekam keinen Urlaub und ich wollte mit meiner Arbeit fertig werden. Ich hatte Bedenken, schwanger zu sein, aber er nahm es locker. "Wenns so ist, ist es halt so. Kriegen wir auch irgendwie hin", sagte er dazu. Ich war nicht schwanger.
Schließlich war es so weit, dass ich ihn besuchte. Da es mehrere Tage sein würden und ich weiter an meiner Arbeit schreiben wollte, wenn er arbeitete, nahm ich meinen Computer mit. Das war ein Fehler.
Es war, als müsste ich ihn wieder neu kennenlernen. Wieder war ich paralysiert, weil er so anders aussah, als ich es mit seinem Wesen verbinden würde. Mir gefiel seine Wohnung. Sie war zwar schrecklich leer und unpersönlich, aber sehr schick. Wir hatten dreimal Sex. Es war schön. Als ich ins Bett kam, umarmte er mich und legte sein Bein über meine. Ich war glücklich.
Am nächsten Tag saßen wir nur vorm PC und spielten besagtes MMORPG. Am Abend waren wir zermatscht und lustlos. Der nächste Tag begann genauso. Draußen strahlte die Sonne und wir saßen vorm PC. "Wir fahren jetzt zum Schloss xy", beschloss ich und wenig später spazierten wir durch den schönen Herbstnachmittag, Hand in Hand wie es Frischverliebte eben tun.
Am Tag, als ich fahren musste, legte er sich morgens noch zu mir ins Bett, flüsterte mir schöne Worte ins Ohr und ich merkte, dass es ihm schwerfiel zu gehen. Ich wäre auch am liebsten geblieben, aber wir hatten ausgemacht, dass ich wieder fahre und ich dachte, wenn er nach Hause kommt und ich immer noch da bin, passt es ihm vielleicht nicht.
Als ich auf dem Heimweg war, kam eine SMS von ihm. "Wo bist du? Habe Dich überall gesucht, aber konnte dich nicht finden. Bin traurig und mach mir Sorgen." Vielleicht hätte ich einfach bleiben sollen.
Die nächsten Tage waren seltsam. Es war, als hätte man mir mein Heroin weggenommen. Diese Wärme und Liebe, das Wohlgefühl, wieder mit jemandem zusammen sein zu können, ohne innerlich in Unruhe, Ablehnung oder Aufruhr zu geraten, jemanden zu haben, dessen Anwesenheit einem nicht unangenehm ist, das war wie das wiedergefundene Paradies. Das Gefühl, mit jemandem in eine Zukunft zu gehen, vielleicht doch wieder jemanden gefunden zu haben, mit dem ich eine Familie haben und alt werden könnte. Ich war die ganzen Tage high gewesen und als ich dann allein war, kam der kalte Entzug. Wieder plagten mich Selbstzweifel. Was wollte er eigentlich von mir? Ich bin nichts Besonderes. Nicht mal besonders scharf auf Sex war er, jedenfalls verglichen mit sämtlichen anderen Männern vor ihm. Abgesehen von dem Marathon am ersten Abend war nicht mehr allzuviel passiert. War das normal? Was war ich eigentlich für ihn? Und wieso wollte er jeden Tag mit mir telefonieren, wo ich doch oft das Gefühl hatte, ich würde nur Zeug erzählen, dass ihn überhaupt nicht interessiert? Ich war auf einem emotionalen Tiefpunkt und er bekam es zu spüren. Ich bombardierte ihn mit Zweifeln, an mir, an ihm, an uns. Ich habe nicht herausgefunden, warum ich nicht damit aufhören konnte. Das ging einige Tage so. Ich wunderte mich, wie er so ruhig bleiben konnte. Mit viel Liebe und Geduld versuchte er, mir meine Zweifel auszureden, hörte sich mein Gejammer an, versuchte, mir Mut zu machen. Dann war die Phase überwunden. Er bekam Besuch von seinen Eltern. Ich rief ihn an, weil ich bescheid sagen wollte, dass ich heil angekommen war, aber er redete mit mir, als wäre ich jemand von seiner Arbeit. Gut, dachte ich, er will wohl noch nicht, dass seine Eltern von mir wissen. Das war auch ok für mich, ich wusste ja auch noch nicht, wann ich ihn meinen Eltern vorstellen würde. Bei unserem nächsten Telefonat fragte ich ihn danach, aber er meinte, sie wüssten von mir. So recht glauben konnte ich es ihm irgendwie nicht, denn er musste heimlich im Auto mit mir telefonieren. Meine Eltern moserten. "Vielleicht ist er ja verheiratet und seine Frau ist zu Besuch." Ich glaubte das nicht. Mein Vater hielt mich für blauäugig und meinte, ich solle nicht immer alles glauben, was die Leute so erzählten. Er könne mir ja viel erzählen, vielleicht sei er auch geschieden und hätte soviel Schulden, weil er für ein Kind zahlen müsse. Ich wollte das nicht glauben, aber der Zweifel keimte doch. Es stimmte. Was wusste ich schon von ihm?
Als seine Eltern wieder weg waren, fragte ich ihn nochmals, ob sie denn wirklich von mir wüssten. Er habe so abweisend und distanziert geklungen. Plötzlich flippte er total aus und brüllte mich am Telefon an. Ich war geschockt und legte auf. Seitdem war etwas kaputt.
Er entschuldigte sich zwar recht schnell, aber in den darauffolgenden Wochen wurde er zusehends unpersönlicher. Es stand wieder zu befürchten, dass ich schwanger sein könnte und es war jetzt nicht mehr "Das kriegen wir hin", sondern "Hoffentlich nicht, das geht alles überhaupt nicht. Mit den Schulden und so, ich will doch meinen Kindern etwas bieten können." Als ich nicht schwanger war, vollführte er einen verbalen Freudentanz. Ich war gekränkt. Irgendwie tickte die Uhr und ich hatte doch geglaubt, den richtigen Mann für eine Familie zu haben. Ich hatte fast gehofft, schwanger zu sein. Seine unglaubliche Erleichterung verletzte mich und er verstand nicht, wieso. War vor kurzem noch die Rede vom Zusammenziehen gewesen, hatte er jetzt plötzlich eigene Pläne, Schule in München, Ausbildung am besten da, wo er jetzt wohnte und ich kam überhaupt nicht mehr vor. Kinder frühestens in drei Jahren. Ich hörte nur den Satz heraus "Ich will irgendwann schon Kinder, aber nicht jetzt." Das ist der Satz, den vermutlich viele spätere Kinderlose sagen. Vielleicht hätte man statt "nicht jetzt" auch "nicht mit dir" sagen können. So zumindest klang es für mich. Ich hatte das Gefühl, etwas zerstört zu haben und es tat mir leid, aber ich konnte es nicht rückgängig machen.
Vielleicht würde es besser, wenn wir uns wieder sehen. Ich fuhr wieder zu ihm, wieder mit Computer. Wir hatten Sex, dann starrte er gebannt auf Superman und beschwerte sich, dass ich ihm in den Nacken atme. Ich war kaum existent in seiner Symbiose mit dem Fernseher. Ich ging ins Bett, das ich mir selbst überziehen musste.
Für den nächsten Tag wollte ich ihn bekochen und verwöhnen, er hatte ja vor kurzem erst Geburtstag gehabt. Wir gingen einkaufen. Ich begann, die Einkäufe hochzutragen, während er am Scheinwerfer seines Autos herumfummelte. Ich trug allein die gesamten Einkäufe nach oben und als ich fertig war, bat er mich noch, ihm sein Werkzeug herunter zu bringen. Ich tat wie geheißen und begann, mich zu ärgern. Ich räumte noch die Einkäufe ein, da saß er - schwupps - schon am PC und war wieder am Zocken. Ich kochte für ihn. Wir hatten Sex und danach saßen wir wieder am PC. Ich wollte überhaupt nicht zocken. Ich war so weit gefahren, um ihn zu sehen, mit ihm spielen konnte ich auch daheim. Ich beschloss zu warten, bis er von selbst ein Bedürfnis entwickeln würde, mich einmal anzusehen oder zu umarmen. Aber es passierte nichts. Als ich den PC ausschaltete, fiel ihm auf, dass ich auch noch da war. Ich fragte mich langsam aber sicher, warum ich überhaupt gekommen war. Schon zur Begrüßung hatte er gar nicht erst das Haus verlassen wollen. Und nun schien ihm jeder Akt der Zärtlichkeit eine Kraftanstrengung zu sein . Keine verliebten Blicke, kein Zuvorkommen, nicht einmal Höflichkeit. Ich sprach es an und er rastete umgehend aus. "Soll ich dich dauernd knuddeln? Wir können doch net dauernd aufeinander rumrutschen!" Nachdem er kurz getobt hatte, redeten wir vernünftig. Er gelobte Besserung und hat sich weitgehend daran gehalten. Ich wollte versuchen, ihm gleich zu sagen, was ich wann von ihm erwartete und habe mich glaube ich weitgehend daran gehalten. Trotzdem konnte ich fühlen, wie er weiter von mir wegdriftete. In den nächsten Wochen war alles, was ich gut oder interessant fand, Schwachsinn, Zeitverschwendung, Scheiße. Ich wusste langsam nicht mehr, was ich ihm am Telefon noch erzählen sollte. Jede Unterhaltung wurde zu einem Streitgespräch um die ärgsten Nichtigkeiten. Ich wusste nicht, wieso.
Ich begann mich zu fragen, warum er mich nicht zu sich einlud, obwohl ich inzwischen nur noch 220km entfernt bei meinen Eltern war. Ich beschloss, alles auf eine Karte zu setzen und lud ihn zu mir ein. Er hatte kaum Luft geholt, da prasselte schon eine Reihe von Ausreden auf mich ein. Das Auto, das Geld. Ich war überzeugt, dass er nicht kommen würde. Damit wäre die Beziehung für mich beendet gewesen. Ich ließ es darauf ankommen: "Steig in den Zug, ich zahl Dir die Karte." Schon ein starkes Stück. Eine joblose Studentin soll ihrem 1800€ verdienenden Freund die Zugkarte zahlen. Ich war ziemlich sicher, dass er es nicht machen würde. Er hatte einfach keine Lust, mich zu sehen, seinen faulen Arsch vom PC zu erheben und zu mir zu fahren. Er ratterte weiter seine Ausreden herunter, aber meinte dann, er würde jetzt nach dem Zug gucken. Zwei Minuten später kam eine SMS, dass er das Ticket nicht ausdrucken könne, da wären Streifen drauf. Das war der Moment, wo mir endgültig der Kragen platzte. Ich schrie ihn an, dass er mich mit seinen Scheiß-Ausreden verschonen solle, wenn er keine Lust habe, mich zu sehen, solle er es besser gleich beenden. Keine halbe Stunde später war er unterwegs zu mir.
Obwohl er mit meinen Eltern nicht so recht warm wurde, war es ein schönes Wochenende. Wir gingen in die Stadt. Auf dem Weg zur Burg erzählte ich ihm von meinem letzten Besuch hier, dass ich mit meinem Ex und dessen Neuer da gewesen sei. Er war irritiert und konnte das nicht verstehen. Ich meinte, für mich sei das kein Problem gewesen. Ich fand es nicht komisch, schließlich war das lange vorbei. Es entspann sich eine Diskussion über Exfreundinnen und ich sagte, am ehesten hätte ich ein Problem, wenn sie hübscher wäre als ich. "Warte!", sagte er ganz eilfertig und zückte sein Handy. Im Nu hatte er ein Bild zur Hand, von dem mich seine hübsche, gut gekleidete Exfreundin anstrahlte. Von mir hatte er noch nie ein Bild machen wollen, aber seine Exfreundin trug er immer mit sich herum. Ich glaube, das war der Punkt, wo ich angefangen habe, damit abzuschließen. Er hat das Bild schließlich gelöscht. Ich hatte irgendwie ein schlechtes Gewissen, aber es ging mir auch besser. Später, als ich ihn zum Kaffee einlud, bedankte er sich nicht. Bitte, danke und Entschuldigung sind Dinge, die in seinem Wortschatz allenfalls sporadisch vorkommen. Aber vielleicht wird man so, wenn man 12 Jahre beim Bund ist.
Er wollte, dass ich ihn am folgenden Wochenende besuche, aber ich hatte vor, bis zu meinem Geburtstag endlich die Diplomarbeit fertig zu machen. Eine gewisse Unruhe diesbezüglich hatte mich befallen und ich wollte es hinter mir haben. Die Woche darauf, zu meinem Geburtstag, kam er wieder zu mir. Es war ein sehr kurzes Wochenende. Er kam, wir hatten Sex, dann saß er schon an meinem PC und zockte. Um zehn lag er im Bett und ich setzte mich alleine zu meinen Eltern. Den nächsten Tag glotzten wir nur. Wieder ging er um zehn schlafen. Ich hatte den Eindruck, am Sonntag konnte er gar nicht schnell genug weg kommen. Mir war es recht. Das Gefühl, ihn gerne bei mir zu haben, war drastisch dahingeschmolzen wie Schnee auf einer warmen Herdplatte. Es war jetzt wieder Stress für mich, ihn bei mir zu haben. Ich konnte nicht schlafen und wenn er wach war, war ich auch unruhig. Ich begann, wieder an D. zu denken. Und hörte auf, an eine gemeinsame Zukunft mit S. zu glauben. Er wollte mich doch eigentlich nur als nette Abendunterhaltung. Er ließ sich von meinem Gerede beplätschern wie von einem Fernseher. Ich gebe ihm wohl das Gefühl, weniger einsam zu sein. Aber wenn wir zusammen sind, macht es ihn nur dann glücklich, wenn er fürchtet, mich zu verlieren. "Einfach mal laufen lassen", riet meine Mutter. Dem folgte ich. Er war die folgende Woche kaum willens, mit mir zu reden. Im Spiel schrieb ich ihn an, aber nach drei Sätzen verstummte die Kommunikation. Am ersten Tag fragte ich nur, was los sei. Am zweiten Tag klagte ich halb im Spaß, dass er mal wieder mit mir reden solle. Am dritten Tag, als er mich nicht einmal begrüßte (abgesehen von einem "hi" im allgemeinen Chat), wartete ich vier Stunden, ob er mir noch etwas schreiben würde. Er tat es nicht. Ich hängte unsere Kinder an den Nagel, ich hängte das Zusammenziehen an den Nagel. Er wollte mich nicht mehr, hatte mich vermutlich nie besonders gewollt, einfach nur genommen, was sich ihm aufdrängte, und jetzt, wo das Bisschen Reiz des Neuen weg war, würde es enden. Ich war heilfroh, als ich meine Tage bekam. Er war enttäuscht. Ich verstand die Welt nicht mehr. Wieso war er auf einmal enttäuscht, wo er doch kurz zuvor noch so happy war, dass ich nicht schwangerwar? Seine Laune besserte sich zusehends, je näher der Termin seiner Auskleidung rückte. Er wurde plötzlich wieder gesprächig, war gut gelaunt und erwähnte ganz nebenbei, dass er sich an meinem künftigen Wohnort beworben habe. Ich fiel aus allen Wolken. Von Zusammenziehen war seit Ewigkeiten keine Rede mehr gewesen und jetzt plötzlich hatte er sich hier beworben?? Jetzt, wo ich praktisch abgeschlossen hatte. Seine gute Laune war ansteckend. Ich war zufrieden. Ich beendete meine Diplomarbeit und mir fiel ein Stein vom Herzen. Nun kann es weiter gehen, dachte ich mir. Vielleicht wird es ja doch noch was. Einige Tage war alles bestens. Aber dann drohte die Woche des Feierns. Wir befinden uns nun fast in der Gegenwart.
Er kündigte es schon so an. "Da werd ich nicht viel daheim sein, Do Uffz-Feier, Freitag Zugfeier, Samstag mitm Kumpel was trinken gehen und Montag gehts auf Weiterbildung nach München." Mein Magen krampfte sich schon in der bloßen Voraussicht auf diese Tage zusammen.
Auf der Uffz-Feier schrieb er mir ständig SMS und wollte danach auch noch mit mir telefonieren. Am nächsten Tag sollte die Zugfeier folgen. Er hatte mir schon vor Wochen erzählt, dass es bei bzw. nach solchen Feiern oft hoch herging. "Kennenlernspiele" nannte er das. Die paar Rekrutinnen, die vor Ort waren, nutzten dann offenbar gerne die Gelegenheit, vom Männerüberschuss zu profitieren und daran waren keineswegs nur Rekruten beteiligt. Vor ein paar Tagen hatte er mir dann auch von der einen Rekrutin erzählt, die seinen Respekt verdiente, weil sie kein bisschen jammerte und ihr Programm durchzog. (Respekt ist übrigens etwas, das Menschen nicht grundsätzlich verdienen. Ich schon gar nicht.) Leider lag jene Leidgeplagte nun seit zwei Wochen "mit einem zweiten Arschloch", also einem Abszess am Steißbein, im Bett und kurierte vor sich hin. Ich fand es schon etwas seltsam, dass er so detailliert darüber unterrichtet war, obwohl sie doch nicht einmal ihm direkt unterstand. Sie hätte es ihm erzählt. Ich nahm das zur Kenntnis. Nun also die Zugfeier, wo die Rekruten ihren Ausbildern Geschenke überreichen und Kennenlernspiele spielen. Ich hatte ein etwas mulmiges Gefühl, aber im Großen und Ganzen glaubte ich schon, dass er mir treu ist. Am Anfang der Party schrieb er mir auch noch fleißig SMS. Ich wunderte mich wieder, wie schon tags zuvor, dass er immer die Zeit dafür fand. "Wird so bis zehn gehen", sagte er. Ich vermutete, dass er mich dann nochmal anrufen würde, wenn er ins Bett geht. Gegen zwölf begann ich dann, mir etwas Sorgen zu machen. Um halbzwei kam schließlich eine SMS, dass er jetzt schlafen gehe und mich liebe. Das sagt er meist nur dann, wenn er ein schlechtes Gewissen hat oder meint, mich damit irgendwie beruhigen zu können. Mir hat nie gefallen, wie er diese kostbaren Worte so zweckdienlich plaziert und ins Gesicht gesagt hat er es mir nie. Ich war beleidigt und schrieb keine Antwort mehr.
Heute Mittag hatte ich bereits zwei sms und sobald ich aufgestanden war, klingelte das Handy. Es war meine normale Zeit aufzustehen, aber er schien beunruhigt. Ich fragte, ob er denn gestern noch sehr beschäftigt war. Wie aus der Pistole geschossen kam die Antwort: "Ich hatte keinen Empfang." Obwohl noch im Halbschlaf, wusste ich, dass das eine aalglatte Lüge war. Er hatte mir ja selbst noch geschrieben von dort. Gleichzeitig wusste ich, dass er vermutlich wieder sturzbetrunken war, sonst hätte er wohl noch angerufen. "Wieso kommst du mir jetzt wieder mit solchen Ausreden, du hast mir doch selbst noch geschrieben." - "Naja, ich hatte wenig Empfang", schränkte er nun ein. Das war zuviel so früh am Tage. Für wie blöd hält er mich? Diese Dreistigkeit erbost mich über die Maßen.
Später fragte ich ihn, warum er mich anlügt, da rastete er wieder aus und legte auf. Ich begann mich zu fragen, was er wirklich gemacht hatte. Weshalb er mich anlügen musste. Um keinen Stress mit mir zu haben?
Später tauchte er im Spiel auf und wir chatteten. Er gab zu, dass er gelogen hatte. Ich mache schließlich immer aus allem ein Theater. Bin dauernd beleidigt. Leider hat er Recht. Aber in dem Fall hätte ich kein Theater gemacht. Vielleicht hätte ich ein bisschen geschmollt, aber das gibt sich meist schnell wieder. So muss ich mich jetzt fragen, worin er mich noch belogen hat. Und ob das alles noch einen Sinn hat.
Ich habe ihn ziemlich niedergemacht. So sehr, dass es mir jetzt leid tut, aber ich habe einen unglaublichen Hass auf ihn. Warum, weiß ich nicht so genau. Es ist eine Lappalie, sagen meine Eltern. Ich weiß, dass sie recht haben. Und trotzdem fühle ich mich betrogen und will mich am liebsten rächen wie ein kleines Kind, dem man sein Spielzeug weggenommen hat. Mein Ego leidet. Ich bin es ihm nicht einmal wert, wenigstens eine Lüge zu erfinden, die sich nicht von selbst aufdeckt. Ich bin eine Randerscheinung in seinem Leben, der weder Respekt noch Ehrlichkeit gezollt werden muss. Jetzt bereut er es. Er hat sich entschuldigt und versprochen, mich nicht mehr anzulügen. Ich kann ihm nicht mehr glauben.

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