Samstag, 8. August 2009
Vertrauen, Stolz, Fehler und Verzeihen
Eigentlich habe ich einen guten Zugang zu schwierigen Menschen. Aus irgendeinem Grund vertrauen die meisten Menschen mir recht schnell. Ich weiß nicht, warum das so ist und ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses Vertrauen verdient habe. Denn loswerden muss ich, was mir anvertraut wird. Diese Weise scheint mir die am wenigsten invasive. Früher habe ich Tagebuch geschrieben, aber davon hat niemand etwas. Nicht einmal ich selbst. Ohne Austausch mit anderen sein, das ist wie ein zugefrorener See. Er kippt um und alles Leben darin erstirbt (abgesehen von den anaeroben Organismen vielleicht, aber das ist Erbsenzählerei).
Ich habe immer versucht, alles zu verstehen. Wenn Menschen von sich erzählen, fällt das leichter. Alles verstehen heißt alles verzeihen. Ich bin nicht gerne böse auf jemanden, genau genommen fällt es mir sehr schwer, wirkliche Gründe dafür zu finden. Mir fällt auch niemand ein, den ich nicht mögen oder gar hassen würde. Natürlich gibt es den ein oder anderen, der mich mal nervt oder der mir suspekt ist, den ich nicht unbedingt in meinem Leben vermissen würde. Aber das bereitet mir keine anhaltenden negativen Empfindungen. Natürlich streite ich mich, besonders mit Menschen, die mir sehr nahe stehen. Und das geht oft sehr rücksichtslos und verletzend vonstatten. Aber das passiert. Wir sind nicht in Disneyland und die Menschen, mit denen ich die meisten Auseinandersetzungen hatte, sind die, die mich nie aufgegeben haben und die im Zweifelsfall für mich da sind, die hinter mir stehen. Es ist schön, solche Menschen zu haben und schön, so ein Mensch zu sein.
Ich weiß nicht, ob es rückgratlos ist, nicht böse sein zu können. "Zeig doch mal ein bissl Stolz!" "Sei net so ein Schwächling!" Gute Ratschläge von meinen Eltern. Stolz (im Sinne von "Ich bin mir zu fein dafür") hat kaum dazu beigetragen, mein Leben zu bereichern oder mich glücklicher zu machen. Aber es vereinfacht manches. Es ist viel einfacher, auf jemanden zu verzichten, wenn man findet, dass er die Mühe nicht wert ist. Ich glaube aber, es gibt keine objektiven Kriterien dafür, wann jemand aufzugeben ist. Das Leben verzeiht nahezu alles - und alles kann ich zwar nicht verzeihen, aber sehr vieles. So ist die Natur konzipiert. Wo Wunden entstehen, verheilen sie und es bilden sich Narben, die die Stelle weniger angreifbar machen. Wenn man eine Krankheit hatte, weiß sie der Körper beim nächsten Mal besser abzuwehren. Wo etwas verloren geht, tritt etwas anderes an seine Stelle. Ich bin der Überzeugung, das Leben an sich ist eine positive und ordnende Kraft, die sich selbst repariert, wenn man ihr nicht entgegen arbeitet. Allerdings scheint es in der Natur des Menschen zu liegen, dagegen zu arbeiten. Bewusstheit ist schwierig, Fehler machen, erkennen und eingestehen schmerzlich, Verantwortung belastend. Jeder Versuch birgt das Risiko des Scheiterns in sich, aber auch so ist die Natur konzipiert. Der Fehler ist das tiefste Geheimnis der Entwicklung. Denn ein Fehler kann sich in vielen Hinsichten als positive Kraft erweisen. Es liegt in der Natur der DNA-Replikation, fehlerhaft zu sein. Die Polymerase hat - wenn ich mich recht entsinne - eine statistischen Fehler von 1:10000, was bei der Unmenge Erbmaterials, bei den ungezählten Zellteilungen, auf ein Menschenleben gerechnet sehr viel ist (natürlich gibt es Kontrollmechanismen, aber auch diese sind ihrerseits fehlerbehaftet). Das Erstaunliche an diesem Fehler ist, dass er häufig folgenlos bleibt oder dass er sogar andere Fehler, die viel schlimmere Folgen hätten, kompensieren kann. So kann beispielsweise eine Mutation die Anlage zu Lungenkrebs verschwinden lassen. Sicher passiert das sehr, sehr selten, aber allein die Tatsache, dass es möglich ist, ist erstaunlich.
Ob man etwas als Fehler betrachtet, hängt im Wesentlichen von der Interpretation der Konsequenzen ab. Auch wenn ich bereue, C. weggeekelt zu haben und es mich schmerzt, ihn zu verlieren - auf lange Sicht wird es sich als weniger fatal für mich erweisen, als es wäre, hätte ich an ihm festgehalten. Insofern werde ich mir diese Schuld vergeben können und ich weiß, dass es das Beste ist, wenn er sich nicht meldet. Es ist paradox - jedes Mal hoffe ich auf eine Antwort und zugleich fürchte ich sie und ich bin enttäuscht, aber auch erleichtert, wenn es keine Reaktion gibt. Das sagt mir, dass die Wunde noch eine Weile brauchen wird, um zu verheilen.

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