Samstag, 18. Juli 2009
C. hat Depressionen, seit er in die Pubertät kam. Er betrachtet es als Konsequenz seiner Persönlichkeitsstruktur und bezeichnet sich selbst als Menschen, der nie ein "easy life"-Typ sein könnte. Solche Menschen - ohne das näher zu spezifizieren - verachtet er und Menschen, die glücklich sind, sind ihm suspekt. Er setzt Sorglosigkeit mit Gedankenlosigkeit und mangelndem Verantwortungsbewusstsein gleich. Wenn man ihn fragt, ob er glaubt, dass alle verantwortungsbewussten Menschen depressiv seien, verneint er das zwar. Aber trotzdem ist er fest überzeugt, dass er ohne seine Depressionen ein anderer Mensch wäre und seinen Pflichten nicht mehr in dem Maße nachkommen könnte, wie er es jetzt tut.
Vor ein paar Monaten hat sich sein bester und einziger Freund umgebracht. Es sei nicht vorherzusehen gewesen, da seien sich alle einig. Irgendwie ahnt C. zwar, dass sie sich in der Wesensart ähnlich waren und das der Grund war, weshalb sie sich so gut verstanden. Über ihre Probleme gesprochen haben sie allerdings nie. C. sagt, er hätte nie gedacht, dass es so schlimm um seinen Freund stand.
Ich kenne C. schon sieben Jahre, aber wir haben uns kaum über seine Probleme unterhalten und ich hätte zwar gesagt, dass er vielleicht ein bisschen wunderlich ist, aber mir nie ernsthaft Gedanken darüber gemacht. Bis er eines Tages zu denken begann, seine Hosen würden sich "unvorteilhaft ausbeulen". Er stand eine ganze Nacht lang vor dem Spiegel und probierte diverse Hosen an, um am Ende sieben davon wegzuwerfen. Inzwischen ist zwar "das Hosenproblem behoben", aber jetzt ist er der Ansicht, er hätte in letzter Zeit im Fitnessstudio "unvorteilhafte Stellen raustrainiert". Das soll sich jetzt wieder "degenerieren". Ich vermute, als nächstes entdeckt er etwas in seinem Gesicht, das nicht in Ordnung ist. Ich bin gespannt, wie seine Lösung dafür aussieht.
Unter Menschen kommt er kaum mehr. Er schreibt momentan seine Dissertation und verlässt das Haus allenfalls zum Einkaufen. Menschen, die sich für ihn interessieren, misstraut er. Er hat den Eindruck, eine Kollegin an der Uni interessiere sich für ihn (die Signale, wie er sie schildert, sind meiner Meinung nach recht eindeutig), ist aber der festen Überzeugung, sie wolle ihn nur "verarschen", weil sie viel zu hübsch für ihn sei. Dass es nicht immer auf Schönheit ankommt, gibt er zwar selbst zu, führt dann aber an, dass er soziophob sei und sich nicht verlieben könne. Eine Freundin hatte er zwar einmal, aber sie haben sich nur gestritten und er hat nie wirklich viel für sie empfinden können. Verliebt war er nur einmal. Er nennt sie noch heute "die Prinzessin" und obwohl sie "keine Schönheit" war, hat er lange von ihr geschwärmt. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, was vorgefallen ist, aber daraus ist nichts geworden und seither hat er mit Frauen abgeschlossen.
Vor einiger Zeit hat er zum ersten Mal in Erwägung gezogen, zum Arzt zu gehen. Inzwischen ist er aber wieder davon abgekommen, weil er glaubt, dort wolle man ihn umdrehen und ihm seine Persönlichkeit nehmen. Da er sehr stur sei, würde er vermutlich aggressiv darauf reagieren. Von daher findet er es inzwischen wieder sinnvoller zu warten, bis sich seine unvorteilhaften Stellen degeneriert haben und dann weiter zu sehen.

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