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Donnerstag, 16. Juli 2009
callibia, 03:28h
F. ist ebenfalls süchtig, zur Zeit nach Arbeit. Um seinen Ansprüchen an seine Leistung zu genügen, schluckt er jede Menge Tabletten, schläft unter der Woche nachts maximal drei Stunden und arbeitet tags wenigstens zehn.
Als ich ihn kennengelernt habe, war er auf den ersten Blick ein völlig anderer Mensch. Er lungerte den ganzen Tag daheim herum, kiffte und spielte Computer. Das waren seine Lebensinhalte. Er schaffte nicht einmal seinen Realschulabschluss. Dann kam ich, er begann, auf die hiesige Schule für faule/unfähige Kinder reicher Eltern zu gehen und machte sein Fachabi mit 1,3. Er begann zu studieren und seine Fähigkeiten zu entwickeln, aber eine Sache blieb ihm: Der Hang zum Exzessiven. F. schafft es im Gegensatz zu Menschen wie mir, sein enormes Suchtverhalten immer wieder zu wechseln und auf neue Motive zu richten. Das macht ihn einerseits zu einem sehr charismatischen und ehrgeizigen Menschen, der viel schafft. Andererseits zerstört es seine Gesundheit. War es erst das Kiffen, das er exzessiv betrieb, folgte die Beziehung mit mir, bis die Verliebtheit ging und er sie erst durch Pilze, dann Alkohol, dann Sport, dann diverse Partydrogen, dann Medikamente und schließlich Arbeit ersetzte. Menschen, die ihn weniger gut kennen, sind neidisch auf seinen Lebensstil. Er ist Mitte 20, hat noch nicht einmal sein Diplom, aber verdient bereits 2000€ netto. Wenn jemand zu ihm sagt, er würde auch gerne so ein Leben führen, stellt F. ihm die Gegenfrage, ob dies alles umfassen würde. Er hat MS, eine Krankheit, die - wie er unlängst selbst festgestellt hat - "seinem Wesen entspricht": eine Übertreibung des Immunsystems. Seinen absoluten Tiefpunkt hat er inzwischen überwunden, aber er ist immer noch auf der Suche nach dieser einen Sache, die ihn endlich ausfüllt und zufrieden macht. Er sucht sie überall, nur nicht in sich selbst. Manchmal glaube ich, er hat Angst vor dem, was er in sich vorfinden könnte. Ich kann das verstehen, es ging und geht mir manchmal genauso.
F. versucht jedenfalls weiterhin, mit Äußerlichkeiten seine innere Leere zu füllen, aber es ist wie mit allem, das man nach außen projiziert: Man doktort nur an den Symptomen herum. Auch eine neue Freundin wird ihn nur so lange ausgeglichen und zufrieden machen, wie die Droge "Verliebtheit" anhält. Danach wird er wieder etwas neues suchen.
Wenn ich F. frage, warum er sich so etwas antut, antwortet er: "Ich brauche das, um zu funktionieren." Ich frage ihn, wieso er "funktionieren" muss. Er sagt: "Ohne Pillen schlafe ich in der Besprechung ein, das geht nicht klar." Er hat einen wichtigen und anspruchsvollen Job, den kaum einer übernehmen möchte: Er führt Enteignungsverfahren durch. Er betrachtet sich als Menschen, der für das "Gemeinwohl" tätig ist, denn "Straßen müssen gebaut werden". Die Verantwortung für das, was er tut, überschreibt er der Gesellschaft. Er betrachtet sich nur als den Ausführenden und er glaubt, der Gesellschaft schuldig zu sein, dass er "funktioniert". Auf andere Menschen, die andere Süchte haben, blickt er herab, er verachtet sie sogar. Die anderen sind in seinen Augen "Versager". Wer nicht nach seinen aktuellen Maßstäben lebt, ist weniger wert. Hat er gerade aufgehört zu rauchen, verachtet er Raucher. Hat er gerade angefangen zu arbeiten, verachtet er Hartz IV-Empfänger. Macht er Sport, verachtet er unsportliche Menschen. Mich verachtet er, weil ich ihm untreu war. Ich kann das verstehen, umso mehr, seit mir plötzlich aufgefallen ist, dass seine Mutter seinen Vater auf dieselbe Weise verlassen hat wie ich ihn.
Ich habe ihn viele Male um Verzeihung gebeten, weil ihn das damals sehr aus der Bahn geworfen hat. Es hat lange gedauert, bis ich realisiert habe, dass es meine Schuldgefühle nicht löst, wenn er mir verzeiht. Ich habe alles, was nötig war, getan. Verzeihen ist etwas, dass er sich selbst zuliebe tun sollte, nicht um meinetwillen.
Als ich ihn kennengelernt habe, war er auf den ersten Blick ein völlig anderer Mensch. Er lungerte den ganzen Tag daheim herum, kiffte und spielte Computer. Das waren seine Lebensinhalte. Er schaffte nicht einmal seinen Realschulabschluss. Dann kam ich, er begann, auf die hiesige Schule für faule/unfähige Kinder reicher Eltern zu gehen und machte sein Fachabi mit 1,3. Er begann zu studieren und seine Fähigkeiten zu entwickeln, aber eine Sache blieb ihm: Der Hang zum Exzessiven. F. schafft es im Gegensatz zu Menschen wie mir, sein enormes Suchtverhalten immer wieder zu wechseln und auf neue Motive zu richten. Das macht ihn einerseits zu einem sehr charismatischen und ehrgeizigen Menschen, der viel schafft. Andererseits zerstört es seine Gesundheit. War es erst das Kiffen, das er exzessiv betrieb, folgte die Beziehung mit mir, bis die Verliebtheit ging und er sie erst durch Pilze, dann Alkohol, dann Sport, dann diverse Partydrogen, dann Medikamente und schließlich Arbeit ersetzte. Menschen, die ihn weniger gut kennen, sind neidisch auf seinen Lebensstil. Er ist Mitte 20, hat noch nicht einmal sein Diplom, aber verdient bereits 2000€ netto. Wenn jemand zu ihm sagt, er würde auch gerne so ein Leben führen, stellt F. ihm die Gegenfrage, ob dies alles umfassen würde. Er hat MS, eine Krankheit, die - wie er unlängst selbst festgestellt hat - "seinem Wesen entspricht": eine Übertreibung des Immunsystems. Seinen absoluten Tiefpunkt hat er inzwischen überwunden, aber er ist immer noch auf der Suche nach dieser einen Sache, die ihn endlich ausfüllt und zufrieden macht. Er sucht sie überall, nur nicht in sich selbst. Manchmal glaube ich, er hat Angst vor dem, was er in sich vorfinden könnte. Ich kann das verstehen, es ging und geht mir manchmal genauso.
F. versucht jedenfalls weiterhin, mit Äußerlichkeiten seine innere Leere zu füllen, aber es ist wie mit allem, das man nach außen projiziert: Man doktort nur an den Symptomen herum. Auch eine neue Freundin wird ihn nur so lange ausgeglichen und zufrieden machen, wie die Droge "Verliebtheit" anhält. Danach wird er wieder etwas neues suchen.
Wenn ich F. frage, warum er sich so etwas antut, antwortet er: "Ich brauche das, um zu funktionieren." Ich frage ihn, wieso er "funktionieren" muss. Er sagt: "Ohne Pillen schlafe ich in der Besprechung ein, das geht nicht klar." Er hat einen wichtigen und anspruchsvollen Job, den kaum einer übernehmen möchte: Er führt Enteignungsverfahren durch. Er betrachtet sich als Menschen, der für das "Gemeinwohl" tätig ist, denn "Straßen müssen gebaut werden". Die Verantwortung für das, was er tut, überschreibt er der Gesellschaft. Er betrachtet sich nur als den Ausführenden und er glaubt, der Gesellschaft schuldig zu sein, dass er "funktioniert". Auf andere Menschen, die andere Süchte haben, blickt er herab, er verachtet sie sogar. Die anderen sind in seinen Augen "Versager". Wer nicht nach seinen aktuellen Maßstäben lebt, ist weniger wert. Hat er gerade aufgehört zu rauchen, verachtet er Raucher. Hat er gerade angefangen zu arbeiten, verachtet er Hartz IV-Empfänger. Macht er Sport, verachtet er unsportliche Menschen. Mich verachtet er, weil ich ihm untreu war. Ich kann das verstehen, umso mehr, seit mir plötzlich aufgefallen ist, dass seine Mutter seinen Vater auf dieselbe Weise verlassen hat wie ich ihn.
Ich habe ihn viele Male um Verzeihung gebeten, weil ihn das damals sehr aus der Bahn geworfen hat. Es hat lange gedauert, bis ich realisiert habe, dass es meine Schuldgefühle nicht löst, wenn er mir verzeiht. Ich habe alles, was nötig war, getan. Verzeihen ist etwas, dass er sich selbst zuliebe tun sollte, nicht um meinetwillen.
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